(Aus einem anderen Text ausgeschnitten, weiterschreiben durch Ableger1)
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Die folgenden Übungen gehen von einer einfach zu formulierenden aber gar nicht einfachen Prämisse aus: es ist möglich, einen Umgang mit Kommunikationstechnologien zu finden, der Aneignung, Experiment und ernstes Spiel ermöglicht. Der Umstand, dass es mir aktuell und schon länger nicht möglich ist, darf trotz seiner lebenspraktischen Evidenz nicht als Widerlegung der Prämisse gelten.
Könnte ich nicht auch so viele Lehrveranstaltungen der letzten Semester als auch eine Arbeit an diesen Fragen verstehen? Die Vorlesung und das Seminar zum „Nichtstun: Theorie und Praxis der Verweigerung unter Bedingungen der Aufmerksamkeitsökonomie“ noch explizit; parallel dazu der erste Versuch einer Arbeit zu Idiosynkrasien im Sommersemester 2023, zärtlicher, eigensinniger, seltsamer, schwerer zu fassen. Und eigentlich doch schon die Vorlesung zu Botanik 3 (wilder Sprung – über die Mauer). Im Wintersemester 2023/24 dann noch einmal neu, radikaler, oder so dachte ich, der dreifache Trick2 der Vorlesung und des Seminars in „Die Vorlesung“ und „Das Seminar“. Es waren so, sehr verschiedene Versuche, die Zusammenhänge von Herrschaft im Kontext von Wissenschaft, Organisation und Medientechnologien sichtbar, erfahrbar, befragbar zu machen, – und dann ging es nicht weiter. Abbruch, Scheitern, Erschöpfung,… die Macht der Technologien und der Organisation ist unermesslich, wächst mit jedem Versuch, sich gegen sie zu verteidigen, als gäbe es kein Entrinnen. Nur: Aufgeben ist keine Option. Oder doch?
Ich muss vorsichtiger werden, Taktiken erfinden, wo Strategien nicht zur Verfügung stehen, gehe nachlesen (d.h. vorlesen, jetzt, im Sommersemester 2025, die Kunst des Handelns von Michel de Certeau und eine Iteration der Idiosynkrasien), neu ansetzen, tastend, beständig verfeinern, sich nicht provozieren lassen, wenn die Gegenseite mit mehr-des-selben (Härte, Strategie, Struktur, Zwang) reagiert: abdriften, abgleiten, pluralisieren; Guerrilla Taktiken3 der Zärtlichkeit4, dem Konflikt ausweichen zu Gunsten der Differenz5.
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(Wie seltsam, dass ich hier lande, denke ich, als ich bemerke, dass ich doch gerade hier, unter Notizen, zuletzt den Beitrag zu Ausweichbewegungen geschrieben habe, nur ist es schon Jahre her, vielleicht der Anfang der Arbeit an den hier erwähnten Vorlesungen? Aber was ist dann schon ein wirklicher Anfang, wann hat es angefangen, keine besonders überzeugende Frage.)
Anmerkungen
- Vgl. Barthes, Roland. 2016. Die Vorbereitung des Romans: Vorlesung am Collège de France 1978 – 1979 und 1979 – 1980. Hg. von Éric Marty, Nathalie Léger, und Horst Brühmann. 4. Aufl. edition suhrkamp 2529. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 173, 239 f., 291, 304. ↩︎
- Erster Trick: das Problem einer Vorlesung zur Lösung zu erklären; zweiter Trick: die Lösung als Problem, das heißt als Form explizit machen; dritter Trick: die Lösung als doppelte Inversion des Problems ausarbeiten: die Vorbereitung der Vorlesung als Vorlesung. ↩︎
- „Manchmal dauern Unterhandlungen so lange, daß man nicht mehr weiß, ob sie noch zum Krieg oder schon zum Frieden gehören. Es stimmt, daß die Philosophie sich nicht von einem Zorn gegen ihr Zeitalter trennen läßt, aber auch nicht von der Heiterkeit, die sie uns verleiht. Doch die Philosophie ist keine Macht. Religion, Staat, Kapitalismus, Wissenschaft, Recht, öffentliche Meinung und Fernsehen sind Mächte, aber nicht die Philosophie. Die Philosophie kennt große innere Schlachten (Idealismus – Realismus etc.), doch das sind Schlachten, um zu lachen. Da die Philosophie keine Macht ist, kann sie nicht in eine Schlacht mit den Mächten eintreten, führt statt dessen einen Krieg ohne Schlacht gegen sie, eine Guerilla. Und sie kann nicht mit ihnen sprechen, sie hat ihnen nichts zu sagen, nichts mitzuteilen, sie führt nur Unterhandlungen. Und da die Mächte sich nicht damit begnügen, äußerlich zu bleiben, sondern in jeden von uns hineinreichen, findet sich jeder von uns ständig in Unterhandlungen und einer Guerilla mit sich selbst, dank der Philosophie.“ (Deleuze, Gilles. (1993) 2020. Unterhandlungen: 1972 – 1990. Übersetzt von Gustav Roßler. 7. Auflage. Edition Suhrkamp, 1778 = N.F., 778. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 7). ↩︎
- Vgl. „Das Zartgefühl“ in: Barthes, Roland. 2018. Das Neutrum: Vorlesung am Collège de France 1977 – 1978. Hg. von Éric Marty. Übers. von Horst Brühmann. 3. Auflage. Edition Suhrkamp 2377. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 67 ff. ↩︎
- „Er greift oft auf eine Art Philosophie zurück, unbestimmt Pluralismus genannt. Wer weiß, vielleicht ist dieses Drängen des Pluralen eine Art und Weise, die sexuelle Dualität zu // verneinen? Die Entgegensetzung der Geschlechter soll nicht Naturgesetz sein; die Auseinandersetzungen und Paradigmen müssen also aufgelöst, die Sinngebungen und Geschlechter zugleich pluralisiert werden: der Sinn geht dann bis hin zu seiner Vervielfältigung, seiner Zerstreuung (in der Theorie vom Text), und der Sexus wird in keiner Typologie aufgenommen (dann gibt es zum Beispiel nur Homosexualitäten, deren Plurales jedem konstituierten, zentrierten Diskurs entgeht, sodass es ihm fast überflüssig erscheint, davon zu reden).
Ebenso spricht für die Differenz, dieses gewichtige und sehr gepriesene Wort, vor allem dass sie vom Konflikt freistellt oder über ihn die Oberhand behält. Der Konflikt ist sexuell, semantisch; die Differenz ist plural, sinnlich und texthaft; Sinn und Sexus sind Bau-, Konstitutionsprinzipien; die Differenz tritt wie ein Zerstäuben auf, wie eine Verstreuung, ein Sichspiegeln; es geht nicht mehr darum, in der Lektüre der Welt und des Subjekts Entgegensetzungen zu finden, sondern Ausbrechen, Übertreten, Fluchten, Verschiebungen, Verlagerungen, Abgleiten.“ (Barthes, Roland. 2019. Über mich selbst. Hg. von Jürgen Hoch und Christian Linder. Berlin: Matthes & Seitz. S. 79f.). ↩︎
[…] Wilde Sprünge, oder: Taktiken der Zärtlichkeit […]