Ausweichbewegung

I would prefer not to…

(Stand: 2022–09–08)

Ich lösche meinen Twitteraccount. Nicht nur, weil Twitter kaputt ist – zumindest für mich und schon lange. Ja nicht einmal, weil das Internet kaputt scheint (nicht jede Seite, nicht jeder Beitrag aber doch: das ganze Internet). Ich beobachte den öffentlichen Diskurs und denke immer öfter «I would prefer not to». Es ist kein Gefühl oder Haltung der Indifferenz. Im Gegenteil… Eine Suche, ein Erklärungsversuch. Die Suche nach einer Sprache, vielleicht.

*

Der öffentliche Diskurs ist beschädigt. Die Sprache der Diskurse trifft mich, greift mich an, zersetzt meine Sprechweise, zerreibt mein Schreiben, schlägt das Denken in Stücke… Technokratisch-dystopische Phantasien, die man ganz ungeniert schreiben kann, das Kriegsgeschrei der ‹Guten› und ‹Bösen›, menschenverachtende Sortierungen und Herabsetzung der immer anderen, die Entleerung und Verkehrung aller Begriffe von Freiheit, über Solidarität bis Wahrheit, dieses ewige Bescheidwissen,… das alles befremdet, erschüttert mich. Ich finde dafür nur leere Worte. Müsste Worte finden, die selbst jene Unverständlichkeit der kaputten Sprache auszudrücken vermögen. Ich dachte oft, und denke es noch immer fast täglich: ‹es wäre wichtig› (ich weiss nicht einmal mehr, was das bedeutet, wenn ich es schreibe), etwas zu sagen, nicht stumm zu bleiben. Das war die Idee der Öffentlichkeit.

Ich weiss nur nicht mehr wie, weiss nur: nicht hier, nicht so.

I would prefer not to – or rather…

Es ist genau genommen nicht, dass ich nicht wollte… es ist eher die Erfahrung, dass es mir nicht mehr möglich ist etwas zu sagen, ohne dass derselbe Beitrag gerade das zerfrisst, was auszudrücken ich versuche. Wer diese Sprache verwendet, sich in ihr ausdrückt, trägt zu ihr bei, schreibt sie fort. Es gibt keine richtige, wichtige Wortmeldung im so falschen Diskurs, vielleicht. Mir versagen die Worte.

Ich sehe nicht einmal die Schuld (wie zu oft und zu leicht) bei anderen. Missverständnisse sind konstitutiv, bewusstes falsch verstanden werden immer möglich, aber darum geht es mir gar nicht. Dies ist (wie die Empörung darüber) eher ermüdend üblich. Kein wirkliches Problem. Was mich verletzt und nicht mehr schlafen lässt, ist dagegen, was mit meiner eigenen Sprache geschieht, wenn ich sie denn hervorbringe, der Verlust der Möglichkeit auch nur einen einzigen Gedanken auszurdrücken.

Professor – ‹öffentlicher Lehrer› – von «profitērī (lat.) ‹laut und öffentlich, frei bekennen, sich bekennen, sich erklären, sich zu etw. freiwillig anbieten, sich öffentlich (zu einem Amte) melden›» (https://www.dwds.de/wb/Professor) – doch was, wenn gerade das Laute, das Öffentliche die Aufgabe der Erkenntnis korrumpiert? Die Sprache ist faschistisch, schreibt Roland Barthes. Ich ahne, was es bedeuten könnte.

Was in den letzten Jahren so verstörend laut als ‹Wissenschaft› verhandelt wird, der zu folgen (im Sinne von gehorchen) es keine vernünftige Alternative geben kann (von «Sachfragen» schreibt Armin Nasshei – im August 2022!), ist je weniger überzeugend umso lautere und mächtigere Auszeichnung einer Form politisch-diskursiver Nützlichkeit, ein Argument. Zögern, stolpern, stammeln, zweifeln,… verloren.

Am 27. August 2021 notierte ich: Erkenntnistheorie muss sich zur Wissenschaft verhalten, wie die Ethik nach Luhmann zur Moral: es ist heute weniger ihre Aufgabe, jene zu rechtfertigen oder zu begründen, als vielmehr vor ihr zu warnen.

Das wäre einmal ein guter Tweet gewesen, doch konnte ich es auf Twitter nicht schreiben. Stefan fragte mich, ob ich es nicht posten könnte, dann könnte man es zitieren. Ich werde den Eindruck nicht los, dass alles verdirbt, was dort erscheint. Ein dummer Satz, einer unter Millionen. Wie schön kurz, wie schön man über ihn hinwegscrollen kann und vielleicht denken: ha, interessant. Nächster Tweet. Die Maschine frisst alles, was weiter schreibt macht, dass es weitergeht. Wie seltsam, denke ich, noch vor einigen Jahren sprach ich stundenlang meine Podcasts und schrieb solche Gedanken ganz eifrig und überzeugt auf Twitter. Ja: woher sollte ich wissen, was ich dachte, bevor ich es nicht in diesen Schlaufen (Podcast/Sprechen, Twitter/Schreiben, Feedback, repeat…) so durchgearbeitet hatte? Verlinkt, verwiesen, iteriert… Heute behalte ich es für mich, schreibe es in meine Notizbücher. Paul Valery schrieb 1900 in seine Hefte: «Wenn meine Arbeit nicht wertlos ist – dann ist sie sehr kostbar: und ich behalte sie für mich. Taugt sie nichts – hat sie für keinen irgendwelchen Wert, und ich behalte sie – für niemanden.» (Cahiers, Bd. 1, 34) So einleuchtend es klingt, so anders ist es heute: es ist nicht mehr die Wertfrage (wertvoll/wertlos), die in jedem Fall zum Für-Sich-Behalten führt, sondern die angsterfüllende Erkenntnis, dass alles einen Wert, den Wert der Entleerung und Zersetzung bekommt, sobald ich es äussern würde. Der beschädigte Diskurs ist hochstabil, unangreifbar, kommt mit allem zurecht. Nur selten schmuggle ich einzelne Sätze, ein paar Gedanken, heraus, über die Grenze, diese Grenze. Lege sie dorthin (in einen Telegram-Brief, eine Email); verstecke sie in einem Text, den ich zu schreiben viel zu voreilig eingewilligt und für den mich längst jeder Mut verlassen hat; spreche sie laut aus (in einer Vorlesung, sicher verborgen zwischen den anderen Sätzen, die es braucht, um die ‹Inhalte› zu ‹vermitteln›…merkt zum Glück selten jemand…) oder flüstere sie leise vor mich hin. So wie man testet, ob ein unbekanntes Gebiet vielleicht bewohnbar wäre oder ob das Eis trägt. Manchmal als Mutprobe; manchmal als ein Geschenk; manchmal als Liebe; manchmal aus Versehen.

*

Seit nun Jahren, jeden Morgen panisches Erwachen, noch immer da, der Verlust jeder Zukunft und jeder Vorstellung von geteilter Realität, schweissgebadet, klopfendes Herz, Atemnot und dieses beklemmende Gefühl in der Brust; der bis ins Mark erschütternde Verlust der Sprache – jeder Sprache – , die hier und dort in Trümmern liegt, der jedes Zartgefühl abhanden gekommen ist… mir fehlen die Worte, ich könnte weinen. Kann es oft genug nicht verhindern. Die kalte Panik aber kennt keine Tränen mehr, dann ist alles taub. Die Sprache wie Haut, betäubt, unfähig zu tasten, unfähig etwas zu erspüren.

Ich will raus. In diesen Diskursen, denke ich, mit dieser Sprache lässt sich nicht mehr denken, kann ich keine Vorlesungen mehr halten, keinen noch so kleinen Text schreiben. Diese Sprache verdirbt alles, was mit ihr in Kontakt kommt. Sie verführt und legt sich nahe… Kritik und Polemik, Wut und Ärger sind heute so leicht zu schreiben, – dass das niemanden wundert? Und noch der klügste Beitrag trägt in diesen Formen und Umgebungen zum Verderben der Sprache, zum Verlust des Zartgefühls und des Bewegungsspielraums bei… Hörst du das Zittern aller Worte, wie die leise Ahnung um ihre Mitschuld, unfähig, etwas anderes zu tun? Am meisten beängstigt mich dann, wenn ich die Wut in mir selbst spüre. Zum Wändeanschreien wütend werden! Es kostet mich alle Kraft, die scharfen, die schärfsten Worte zurückzuhalten. Nennt es feige, wenn ihr mögt, – es verlangt mir alles ab. Jeden Tag erneut gegen die Übelkeit kämpfen, die der Panik, die aus Ekel, aus Entsetzen, oder aus Erschöpfung.

I would prefer…

Ich will ausweichen, abschweifen, mich verlagern, andere Worte finden… kleinere vielleicht, leise, zarte, zerbrechliche,… «alles, was die Parade, die Beherrschung, die Einschüchterung umgeht, vereitelt oder lächerlich macht», schreibt Roland Barthes («Über mich selbst», 157). Vielleicht ist der Verlust der Sprache die Voraussetzung ihrer Aufgabe. Für eine andere, verletzlichere Sprache, eine, die die Sachen berührt indem sie diesen erlaubt, mich zu berühren. Hautsprache. Vielleicht. Das geht hier nicht, das geht heute nicht mehr. Nicht so, weniges war mir im Moment der Einsicht je so klar. Und so veränderte ich in den letzten Jahren, mit aller Kraft, und allem, was ich gegen mich (der ich diese Komplizenschaft als Produktivitätszwang, besser: zur Schau Stellen eigener Produktivität so verinnerlicht habe) aufbringen kann, meine Praxis. Ich habe kaum etwas zu berichten, und wem würde ich davon erzählen und wie? Unzählige gescheiterte Versuche, Abbrüche, Zusammenbrüche, lose Enden. Nur ein paar winzige, vielleicht gute Versuche, die, denen man anmerkt, dass sie nicht vereinnahmt werden können: ich lege kleine Zettel auf Tischen aus, lasse Dinge liegen hier und dort, schreibe Gedanken in Briefe, in Gäste- und Gipfelbücher, in Bücher meiner Bibliothek, in meine Notizbücher – Marginalien auf der Suche nach dem Rand der Ränder, nach dieser flüchtigen Bewegung – die sogleich zerfällt. Auf der Suche nach einer anderen Sprache, einer anderen Schreib- und Sprechweise, die Fassung verlieren, driften, alles riskieren (weil man ohnehin nichts mehr hat), zärtlich, und-auch-das-nicht Positionen, der Erschöpfung vertrauen, und der Berührung. Ästhetische Erkenntnis: die Sachen berühren und von ihnen berührt werden kann nur, wer aufgibt, alles nur be_greifen_ zu wollen. Nicht nur der «Begriff», nein die ganze verfügbare Sprache, «vermag nicht alles, was die Vernunft verlangt» (mit Blumenberg).

*

Dies alles ist selbst kein Argument; etwa für einen neuen Privatismus, Exil, Einsamkeit. Ach, all das wäre doch kein Problem, ginge es nur darum. Eben im Gegenteil. Es geht um viel mehr: die Möglichkeit zu denken, zu sprechen, zu schreiben überhaupt. Ich kann all das nicht mehr für gegeben halten.

Viele gute Erinnerungen, wunderbare Bekanntschaften und mehr, die hier (auf Twitter?, im Netz?) entstanden und so fest mit diesen Formen verwoben sind, dass es mir schwer fällt, es nicht Twitter, dem Netz zumindest zugute zu halten. Die ganze Arbeit mit dem Podlog. Die Schlaufen und Links… Vielleicht geht es irgendwann wieder einmal.

Vorerst – für mich – nicht.


1 comment

  • Lieber Moritz, deine Notiz hat mich sehr berührt und ich erkenne meine eigene Hilf- und Sprachlosigkeit in so manchen Ideosphären (Roland Barthes) darin wieder. Gerne denke ich an die zwei Tage der Summerschool in Disentis zurück, an denen du ihn mir wieder nahegebracht hast. Mit grosser Begeisterung lese ich gerade Das Neutrum. Danke!!

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